Diese Geschichte entstand 2016 für den Weihnachtskalender im Büchertreff, den die Forumsmitglieder selbst mit eigenen Bildern und Texten gestaltet haben. Für das Ende hatte ich mehrere Ideen, die der Geschichte selbst jeweils einen völlig anderen Touch verleihen, und weil ich fand, dass jedes Ende es verdient hat, gelesen zu werden, habe ich auch alle drei geschrieben.
Am 24. Dezember herrschte allenthalben Weihnachtsfieber. Vormittags drängten sich die Menschen in den Geschäften, kauften fürs Weihnachtsessen ein oder besorgten in größter Eile noch die letzten Geschenke, und am Nachmittag wurde zu Hause geputzt und gekocht. Am Marktplatz stand die Blaskapelle und spielte Weihnachtslieder, und die Eltern der Kinder, die am späten Nachmittag beim Krippenspiel mitmachen sollten, waren wahrscheinlich noch aufgeregter als die Jungen und Mädchen selbst.
Die einzige, um die Weihnachten in diesem Jahr einen Bogen machte, war Franziska. Sie fieberte dem Fest auf eine ganz andere, wörtlichere Art und Weise entgegen, hatte sich nämlich zwei Tage vor Heiligabend einen leichten Infekt eingefangen. Eigentlich fühlte sie sich nicht einmal krank, nur halt nicht ganz so munter und mit etwas weniger Appetit als sonst, aber ihrer Mutter hatte das gereicht, um sie augenblicklich ins Bett zu stecken. Das Fieberthermometer behauptete, dass Franziska leicht erhöhte Temperatur hatte, kaum über achtunddreißig, aber trotzdem zu viel nach Ansicht ihrer Mutter, und noch dazu hatte es eine Woche zuvor geheißen, einer ihrer Klassenkameraden hätte sich ein Norovirus eingefangen. Das war zwar längst widerlegt, der Betreffende hatte sich lediglich den Magen an irgendwas ausgehängt, das nicht mehr astrein gewesen war, aber Franziskas Mutter wollte kein Risiko eingehen. Sie hatte vor allem Angst um Franziskas kleinen Bruder Felix, der erst fünf war. Besonders anfällig für Krankheiten war der zwar auch nicht, aber Franziskas Mutter eben immer überaus besorgt.
Die Folge war, dass Franziska nicht mal mit der Familie zu Abend essen durfte. Sie bekam das Essen aufs Zimmer gebracht, und das war nicht mal was vom Weihnachtsessen, sondern Hühnerbrühe, weil ihre Mutter meinte, das wäre besser, wenn der Körper gegen eine Krankheit zu kämpfen hatte. Sie wollte sich eine Weile zu Franzsika ans Bett setzen, ging dann aber doch recht schnell wieder, weil Franziska keine Antwort gab und sich demonstrativ zur Wand drehte. Was hatte sie erwartet? Dass Franziska jubilierte, wenn sie völlig unnötig im Bett bleiben musste, keinen Besuch haben durfte, weil ihre Mutter nicht die Verantwortung dafür übernehmen wollte, wenn sich eine Freundin ansteckte, Eltern und Bruder durch die angelehnte Zimmertür essen und Weihnachtslieder singen hörte und dabei Hühnerbrühe aß, die ihr weder schmeckte, noch satt machte? Wohl kaum.
***
Franziska wachte auf, weil irgendwas polterte. Irgendjemand rief unterdrückt „Au!“, aber es hörte sich nicht nach ihrem Vater an, obwohl es eindeutig eine männliche Stimme war. Franziska setzte sich im Bett auf, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die Tür ihres Kleiderschranks von innen aufgestoßen wurde. Was war denn jetzt los? Hatte sie schlafwandelnder Weise einen Einbrecher eingesperrt, der sich jetzt mit Gewalt befreite? Sie war doch noch nie geschlafwandelt!
Als erstes kam ein Hintern zum Vorschein, und es war nicht der eines Menschen – es war ein Pferdehintern! Was ging denn hier ab? War das Fieber gestiegen, und sie halluzinierte? Ein Griff an die Stirn – nein, die fühlte sich nicht heiß an, kein bisschen.
Unter Ächzen und Knirschen schob sich das zum Hintern gehörende Pferd rückwärts aus dem Schrank. Es musste sich ganz schmal machen, damit es durch die Tür passte, und es war gut, dass es der massige Schrank war, den schon Franziskas Urgroßmutter besessen hatte. Moderne Spanplatten wären da längst zu Bruch gegangen.
Aber auch wenn der Schrank nicht gerade klein war, wie konnte ein Pferd da rein passen? Das nachtschwarze Tier war jetzt auch nicht gerade ein Shetlandpony, und eine Hälfte des Schranks war in einzelne Fächer unterteilt, mit einer senkrechten Wand, die sie zum großen Fach für die Schuhe und Jacken hin abgrenzte. Bis jetzt hatte Franziska Narnia für reine Fiktion gehalten, und außerdem wechselten, wenn sie sich richtig erinnerte, keine Wesen von dort in diese Welt.
Sie hatte sich noch nicht mal ansatzweise von dem Schreck erholt, dass plötzlich ein Pferd in ihrem Zimmer stand, als es sie gleich zum zweiten Mal fast umwarf: Das Pferd konnte sprechen! „Du musst musst Franziska sein!“, sagte es mit tiefer Stimme.
Franziska konnte nur nicken. „Ich bin Lorenzo“, fuhr das Pferd fort. „Und was machst du hier?“, fragte Franziska vorsichtig. „Ich bin gekommen, um dich abzuholen“, antwortete Lorenzo. „Zum Weihnachtsfest für alle Kinder, die nicht Weihnachten feiern können.“ Er machte eine auffordernde Geste mit dem Kopf in Richtung seines Rückens. „Komm, steig auf!“
Franziska kletterte aus dem Bett, und einen Moment später saß sie auf dem Rücken des Pferdes und klammerte sich an der schwarzen Mähne fest. Sie wunderte sich selbst über sich, wunderte sich, dass sie keine Sekunde zögerte, und dass sie so mühelos auf den Pferderücken kam.
Wie Lorenzo aus ihrem Zimmer kommen wollte, ohne ihre Eltern aufzuwecken, war ihr ein Rätsel, aber er war ja auch reingekommen. Lorenzo fackelte auch nicht lange und trabte los auf das Fenster zu. Um Gottes willen, wollte er durch die Scheibe springen? Die Splitter würden ihm das Gesicht aufschneiden, vielleicht sogar die Kehle aufschlitzen, und außerdem waren sie im siebten Stock!
Doch das Fenster öffnete sich wie von Geisterhand, und als Franziska nach unten sah, weil sie eine kräftige Bewegung an beiden Beinen spürte, sah sie, dass Lorenzo Flügel hatte, mächtige Schwingen, die mit dunkel glänzenden Federn bedeckt waren. Sie presste sich dicht an Lorenzos Rücken, im ersten Moment nur, um nicht mit dem Kopf gegen den Fensterrahmen zu knallen, aber dann hielt sie sich weiter fest, weil es schwindelerregend war, so hoch über dem Boden zu fliegen.
„Wo findet das Fest denn statt?“, rief sie Lorenzo zu. Der aber antwortete nicht, oder Franziska bekam es nicht mehr mit, weil ihm gleichen Moment die Lichter der Stadt vor ihren Augen verschwammen. Das letzte, was sie noch ausmachen konnte, war der mächtige, mit unzähligen Lichterketten geschmückte Weihnachtsbaum vor dem Rathaus.
Ein paar Augenblicke später klärte sich das Bild wieder, aber von der Stadt war nichts mehr zu sehen. Stattdessen flogen sie über eine tief verschneite Landschaft mit sanften Hügeln und schneebedeckten Tannen.
Oben auf einem Hügel stand ein prächtiges Schloss, ein richtig verwunschener Bau mit unzähligen Türmchen und Erkern, einer Freitreppe und bunten, hell erleuchteten Fenstern. Das Portal stand weit offen, und von drinnen war Weihnachtsmusik zu hören, vermischt mit vielen Kinderstimmen.
Lorenzo setzte sanft vor dem Portal auf, und Franziska glitt geschmeidig von seinem Rücken. Einen Moment lang blieb sie unschlüssig stehen, dann sah sie Lorenzo aufmunternd nicken und trat ein.
Was für ein Traum war das! Sie fand sich in einer großen Halle wieder, bestimmt vier Stockwerke hoch, in deren Mitte ein riesiger Weihnachtsbaum stand. Er war geschmückt mit echten Kerzen, bunten Kugeln, Sternen, Engelsfiguren und kleinen Geschenkpäckchen. Rund um den Baum standen viele runde Tische, jeder mit einem Dutzend Stühlen, und diese Tische waren überreichlich gedeckt. Es gab Braten, Klöße, Kartoffeln und Nudeln, Gemüse und Soßen, Obst, Pudding, Kuchen, Kakao, Limo... Manches kannte Franziska nicht einmal, einiges roch sehr exotisch. Hier mussten Speisen aus der ganzen Welt versammelt sein, und auch die Kinder, die dieses Paradies bevölkerten, kamen offensichtlich aus allen Ecken des Erdballs. Franziska hörte deutsche Worte, Englisch, das sie aus der Schule kannte, Französisch, ein paar Wortfetzen, die sie für Italienisch hielt, Sprachen, die sie nur grob als Slawisch einordnen konnte, und noch andere, bei denen sie nur aufgrund des Aussehens der Sprechenden schloss, dass es sich um asiatische, afrikanische oder indianische Sprachen handelte.
Noch bevor sie sich überlegen konnte, was sie jetzt tun sollte, stand plötzlich ein kleines Männchen neben ihr. Der Mann ging ihr tatsächlich nur bis zur Brust und war so dünn, dass Franziska dachte, er müsste zusammenklappen, wenn er die steife Uniform auszog, die er trug. Das Haar war schlohweiß, er musste uralt sein, aber in seinen Augen stand ein lustiges Funkeln. „Willkommen im Weihnachtschloss, Franziska!“, sagte er mit einer Stimme, die viel tiefer klang, als Franziska bei dieser Statur erwartet hätte. Dass er ihren Namen kannte, wunderte Franziska schon überhaupt nicht mehr. „Iss und trink, so viel du magst, und nimm dir ein Geschenk vom Baum!“
Franziska wollte ihn fragen, welches Päckchen sie denn nehmen sollte, doch der kleine Mann schien ihre Frage zu ahnen und nahm die Antwort vorweg, ehe sie den Mund öffnen konnte. „Du wirst spüren, wenn du das gefunden hast, das zu dir passt.“
Dann war er weg, untergetaucht zwischen den Kindern, die ihn fast alle überragten, obwohl auch einige darunter waren, die viel jünger waren als Franziska. Franziska sah sich um und beschloss, sich an einen Tisch zu setzen, der etwa zur Hälfte mit Jungen und Mädchen ungefähr in ihrem Alter besetzt war. Sie unterhielten sich in verschiedenen Sprachen und teils mit Händen und Füßen. Franziska fragte auf Englisch, ob sie sich dazusetzen durfte, alle nickten, und sie wurde nahtlos mit in die Gespräche einbezogen. Sie erzählte, woher sie kam, und erfuhr im Gegenzug Namen und Herkunft der anderen: Corazón aus Peru, Frederic aus Ghana, Fridoline aus Schweden, John aus Australien, Tyun aus Korea und Eric aus Kanada. Wie Lorenzo gesagt hatte, konnten alle aus dem einen oder anderen Grund nicht zu Hause Weihnachten feiern, weil jemand krank war, weil es Streit gab, Fridoline war mit ihren Eltern eingeschneit, und sie hatten den Weihnachtsbaum verheizen müssen, um nicht zu erfrieren, ehe der Weg zu ihren Haus wieder freigemacht werden konnte.
Franziska saß eine Ewigkeit mit den anderen zusammen, aber irgendwann stand Tyun auf, um nach ihrem Geschenk zu suchen, und Franziska beschloss, nun ebenfalls herauszufinden, was der kleine Mann gemeint hatte, als er gesagt hatte, dass sie spüren würde, welches Geschenk zu ihr passen würde.
Es war verwirrend, so viele Päckchen hingen da am Baum, große und kleine, mit und ohne Schleife, manche in einfarbigem Papier, andere in gestreiftem, getupftem, mit Figuren darauf... Wie sollte sie da herausfinden, was zu ihr passte? Vor allem, wenn sie nicht wusste, was in dem Päckchen war?
Eine ganze Weile wanderte sie unschlüssig um den Baum, betrachtete verschiedene Päckchen, wog manche, die in ihrer Reichweite hingen, auch in ihrer Hand und versuchte, sich vorzustellen, auf welche Kinder sie warteten.
Im Moment hatte sie noch keine Vorstellung davon, welches Päckchen ihres war, doch dann fiel ihr Blick auf ein flaches, in rotes und blaues Papier eingeschlagenes Paket, und plötzlich wusste sie: Das war es! Sie wusste nicht, warum, das Päckchen schien in keiner Weise besonders, aber es war genau, wie der kleine Mann gesagt hatte, sie spürte, dass es auf sie wartete.
Bloß – wie sollte sie drankommen? Das Päckchen hing ganz oben am Baum, und der füllte die Halle in der Höhe fast vollständig aus.
Wie aus dem Nichts stand plötzlich wieder der kleine Mann neben ihr. Er warf nur einen Blick nach oben und zog dann einen Stab aus der Tasche seiner Uniformjacke, der dabei immer länger und länger wurde. Am Ende war er so lang, dass der kleine Mann mit dem Haken am Ende das Päckchen vom Baum pflücken konnte. Es schien ihn nicht im geringsten anzustrengen, obwohl so ein langer Stab doch auch ein ordentliches Gewicht haben musste. Lächelnd überreichte er Franziska ihr Geschenk, schob den Stab zurück in die Tasche, und im nächsten Moment war er schon wieder verschwunden.
Vorsichtig zog Franziska das bunte Papier ab. Dieser Abend war so magisch, so wunderschön und unwirklich zugleich, da war selbst das Geschenkpapier viel zu wertvoll, um es auch nur zu verknittern.
Dann hielt sie ein Buch in der Hand, einen dicken Wälzer, der irgendwie alt wirkte und gleichzeitig auch nicht alt. Der stabile Einband war überwiegend blau, und als Franziska mit dem Finger darüber strich, spürte sie, dass das verschlungene Muster genauso erhaben war wie die goldenen Lettern, die den Titel bildeten. „Eine fantasievolle Reise in eine unbekannte Welt“, las sie murmelnd.
Im ersten Moment war sie enttäuscht. Ja, sie las gern und viel, insofern passte das Geschenk zu ihr, aber trotzdem, irgendwie was das auch so profan. Trotzdem war sie neugierig, was für eine Geschichte sich zwischen den Buchdeckeln verbarg.
Auf der Suche nach einem Ort, an dem sie in Ruhe lesen konnte, stieß sie auf eine Treppe, die weiter nach oben führte. Sie war dick mit Teppich ausgelegt, und als Franziska nach oben schaute, sah sie verschiedene Türen abzweigen. Alle standen offen, und es schien nicht verboten zu sein, nach oben zu gehen, denn auch in den anderen Stockwerken liefen überall Kinder herum. Franziska begann, die Treppe hinaufzusteigen, und warf einen Blick durch jede Tür.
Hier hatten sich ein paar Mädchen mit Puppen zusammengefunden, dort ein paar Kinder mit Lego, wieder woanders fuhren Modellautos über den Boden, Brettspiele wurden gespielt, und in einem Raum sogar Fußball.
Dann stieß Franziska auf eine Art Bibliothek. An den Wänden reihten sich Bücherregale, gefüllt mit mehr Büchern, als Franziska zählen konnte. Zwischen den Regalen standen gemütliche Sessel, genau richtig, um sich in die Polster zu kuscheln und ein gutes Buch zu lesen, und genau das würde Franziska jetzt machen. Genau genommen wusste sie ja noch nicht einmal, ob das Buch, das sie in der Hand hielt, gut war, aber warum sollte es das nicht sein? Wer auch immer für dieses unglaubliche Fest verantwortlich war, er hatte alles so gut gemacht, warum sollte er ausgerechnet bei ihrem Geschenk versagen?
Sie fand einen freien Sessel neben einem Mädchen, das ungefähr in ihrem Alter sein musste. Auf Englisch erkundigte sie sich, ob da vielleicht eigentlich jemand saß, der nur mal kurz zum Klo war, und setzte sich, als das Mädchen erklärte, dass der Sessel wirklich zu haben war.
Eher zufällig fiel ihr Blick auf das Buch, das das andere Mädchen las: Der Einband war rot, aber der Titel war gleich. „Hey, du hast ja das gleiche Buch wie ich!“, entfuhr es ihr. „Nur in rot.“ Sie war auf Deutsch umgeschwenkt, denn das Mädchen hatte angeregt gelesen, verstand also offenbar Deutsch. Sie hielt ihr Buch hoch, damit das andere Mädchen sehen konnte, dass der gleiche Titel auf dem Umschlag stand. Auch sonst war die Aufmachung gleich, nur die Grundfarbe unterschied sich. „Naja, so ist es besser“, lächelte sie. „Blau ist nämlich meine Lieblingsfarbe.“ „Und Rot ist meine“, antwortete das Mädchen. „Komisch, oder?“ Franziska nickte. „Komisch“, bestätigte sie. „Warum bist du eigentlich hier? Ich meine, warum kannst du nicht zu Hause Weihnachten feiern?“ „Lawinengefahr“, antwortete das andere Mädchen. „Wir wohnen in den Bergen, und wir mussten ganz schnell aus unserem Haus raus, weil die Lawinenexperten meinten, in unserem Tal könnte eine riesige Lawine runterkommen, und unser Haus könnte getroffen werden, obwohl eine Schutzwand davor steht.“
Franziska erfuhr, dass das Mädchen Stella hieß und in der Schweiz zu Hause war. Sie waren fast auf den Tag genau gleichaltrig und sich anscheinend auch sonst ähnlich wie Schwestern. Sie hatten die gleichen Hobbys, mochten die gleichen Filme, und es gab auch eine ganze Reihe von Büchern, die sie beide gelesen hatten.
Kein Wunder also, dass sie wenig später gemeinsam die Nase ins Buch steckten und in eine Welt voller magischer Verwicklungen abtauchten. Gerade, dass sie noch daran dachten, ihre Handynummern auszutauschen, ehe sie die Welt um sich herum vergaßen, die selbst schon so magisch war. Franziska hatte immer noch keine Ahnung, was das alles eigentlich genau zu bedeuten hatte, aber eins war sicher: Dies waren die schönsten Weihnachten, die sie je erlebt hatte.
An dieser Stelle könnte die Geschichte enden. Es könnte aber auch noch weitergehen. Mit einem Klick auf die beiden Links unten könnt ihr die alternativen Enden ein- und ausblenden.
Alternatives Ende 1
Franziska blinzelte und rieb sich über die Augen. Was für ein verrückter Traum! Lorenzo, der geflügelte, sprechende Rappe, der sie abgeholt hatte, das Weihnachtsschloss, das Festessen, der Baum voller Geschenke, die Bibliothek, Stella, das Mädchen aus der Schweiz...
Ihre Hand stieß an etwas Hartes. Was konnte das sein? Das Buch, in dem sie am Abend noch gelesen hatte, hatte sie auf den Nachttisch gelegt, das konnte es nicht sein. Was aber dann? Hastig knipste Franziska das Licht an, um nachzusehen. Sie erkannte es sofort: Das Buch aus ihrem Traum! Und als sie den Ärmel ihres Schlafanzugs hochschob, fand sie die Handynummer, die Stella mit einem Filzstift auf den Unteram geschrieben hatte. Dann war das alles echt gewesen?
Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Schnell griff sie sich ihr Handy und tippte eine kurze Nachricht an Stella ein. „Ich bin wieder zu Hause“, tippte sie. „Du auch?“ Sie schickte die Nachricht ab, und schon eine Minute später signalisierte eine kurze Tonfolge, dass eine Antwort eingegangen war. „Ich bin auch wieder zu Hause“, schrieb Stella. „Stell dir vor, die Lawine ist woanders runtergegangen, wo keine Häuser stehen. Die Lawinenwarnung ist aufgehoben, wir sind schon wieder zu Hause. Frohe Weihnachten.“ „Frohe Weihnachten“, schrieb Franziska zurück. Dann legte sie das Handy zur Seite und ließ sich zurücksinken. Egal, was jetzt noch kam, egal, wie sehr ihre Mutter wegen dem bisschen erhöhter Temperatur noch nervte, diese Weihnachten würde sie genießen wie noch kein Fest zuvor.
Alternatives Ende 2
Eine kurze Tonfolge ließ Franziska hochschrecken, und sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Wo war die Bibliothek hin? Das Weihnachtsschloss?
Dann begriff sie, dass sie geträumt hatte, und dass ihr Handy eine Nachricht empfangen hatte. Aber um diese Zeit? Mit einem Schlag hellwach, griff sie nach dem Handy und las. „Komm runter! Ich warte vor der Tür auf dich.“ Die Nachricht stammte von ihrer besten Freundin Annika, und als Franziska ans Fenster ging und nach unten schaute, sah sie auf dem Bürgersteig tatsächlich eine Gestalt stehen, die zu ihr hochschaute. „Ich komme!“, textete Franziska zurück. Sie hatte keine Ahnung, was Annika vorhatte, ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass Mitternacht gerade vorbei war, aber eigentlich spielte es auch keine Rolle. Seit zwei Tagen hatte sie niemanden mehr zu Gesicht bekommen außer ihrer Mutter, sie wollte einfach raus, und deshalb schlüpfte sie in Windeseile leise in ihre Klamotten. Ihre Eltern schliefen, darauf war Verlass, und dass ihr Bruder noch wach war, brauchte sie auch nicht zu befürchten.
Unbemerkt schlich sie aus der Wohnung und zur Treppe. Sie hatte Turnschuhe an, die auf dem Steinboden im Treppenhaus keinen Laut verursachten. Den Aufzug mied sie, denn den hätte jemand hören und sich wundern können, wer um diese Zeit noch das Haus verließ. In einem Hochhaus wie dem, in dem Franziska wohnte, kannte man zwar nicht unbedingt alle Nachbarn, geschweige denn deren Gäste, aber ein elfjähriges Mädchen, das mitten in der Geisterstunde allein raus ging, musste eigentlich jedem verdächtig erscheinen.
Annika kam ihr entgegen und schloss sie in die Arme. „Wie geht’s dir?“, erkundigte sie sich fürsorglich. „Gut“, antwortete Franziska. „Aber ich hab was total verrücktes geträumt...“
Sie begann, zu erzählen, und achtete kaum darauf, wohin Annika, die ihre Hand genommen hatte, sie führte. Irgendwann stand sie bei Annika zu Hause im Garten, ohne recht zu wissen, wie sie dorthin gekommen war. „Was machen wir hier?“, fragte sie verwundert. „Noch eine halbe Minute Geduld!“, gab Annika trocken zurück. „Mach mal die Augen zu!“
Franziska gehorchte und wartete, was passieren würde. Sie hörte etwas leise klimpern, es klang nach einem Schlüssel, dann wurde sie sanft am Arm gepackt und weitergeführt. Helligkeit schien durch die Lider, und gleichzeitg spürte sie Wärme, die ganz bestimmt nichts mit ihrem ohnehin kaum vorhandenen Fieber zu tun hatte.
„Du kannst gucken“, sagte Annika einen Moment später. Franziska öffnete die Augen und kniff sie gleich wieder zusammen. Sie hatte genau in die Flammen mehrerer Kerzen hineingeschaut, und ihre Augen brauchte ihre Zeit, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen.
Sie kannte die Laube, die Annikas Eltern in ihrem Garten gebaut hatten, denn hier saßen sie manchmal, wenn sie ungestört sein wollten. Annika hatte zwei jüngere Schwestern, die wohl nie lernen würden, anderer Leute Privatsphäre zu respektieren. Aber so wie in dieser Nacht hatte Franziska das Gartenhäuschen noch nie erlebt, Annika hatte den einzigen Raum weihnachtlich dekoriert, und auf dem Tisch standen nicht nur Kerzen, die sie schnell noch angezündet hatte, ehe sie ihrer besten Freundin erlaubt hatte, die Augen wieder zu öffnen, sondern auch ein Topf, aus dem es dampfte und herrlich nach deftigem Eintopf duftete, als Annika den Deckel abhob. Sie hatte extra ein dickes Kissen auf den Topf gepackt, damit das Essen warm blieb, während sie Franziska holte. Bei der Thermoskanne mit dem süßen Wintertee erübrigte sich das; nachdem Annika zwei Tassen voll eingegossen hatte, mussten sie sogar noch ein paar Augenblicke warten, ehe sie vorsichtig trinken konnten.
„Wow!“, entfuhr es Franziska. „Ist das toll! Danke, danke, danke!“ „Gern geschehen!“, wehrte Annika verlegen ab. „Ich konnte doch nicht zulassen, dass du überhaupt nicht Weihnachten feierst.“ Während sie sprach, tauchte sie schon die Schöpfkelle in den Topf und tat Franziska einen ordentlichen Schlag Eintopf auf, ehe sie auch den eigenen Teller füllte. „Guten Appetit“, wünschte sie. „Und frohe Weihnachten natürlich.“ „Frohe Weihnachten“, antwortete Franziska. „Lecker“, lobte sie, nachdem sie den ersten Löffel probiert hatte. Annika hatte Kartoffeln, Hack und viel Curry kombiniert und das Ganze feurig abgeschmeckt. „Besser als Hühnerbrühe, wie?“, stellte sie ohne falsche Bescheidenheit fest. „Hühnerbrühe zu Weihnachten, da sollte es ein Gesetz gegen geben!“ „Wie hast du das eigentlich alles hingekriegt, ohne dass deine Eltern was gemerkt haben?“, wollte Franziska wissen. „Ich meine, kochen, den Tisch decken, euren Heizlüfter herbringen, mich abholen...“ „Ich glaube, sie haben sich blind und taub gestellt“, gab Annika zu. „Sie meinten auch, es wäre völlig übertrieben, dich ins Bett zu stecken, bloß weil du ein Grad mehr als üblich und mal keinen Nachtisch gegessen hast. Schätze, sie halten es für eine gute Tat, mich einfach machen zu lassen. Du weißt doch, Papa war früher bei den Pfadfindern.“ Beide lachten, und Franziska ließ sich für einen Moment in das vom heißen Topf vorgewärmte Kissen sinken. Auch wenn es nicht so üppig aussah, sie fand, dass Annika den kuriosen und schönen Traum vom Weihnachtsschloss perfekt wahr gemacht hatte.
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