11 packen mit an

Diese Geschichte ist ein Ableger meiner Serie Die Ballfreunde-Mädchen. Sie spielt nach dem 6. Band der Hauptreihe und zeigt, wie die Mädchen auch bei Alltagsproblemen zusammenhalten.

 

Cover der Kurzgeschichte 11 packen mit an

Die Rückrunde beginnt für uns mit einem kleinen Schock: Am Dienstag vor dem ersten Spiel verkündet Anna, unsere Linksverteidigerin, beim Training, dass sie am Samstag umzieht und deshalb nicht spielen kann. Ich glaube, ich bin nicht die Einzige, die dabei ganz kurz an einen endgültigen Abschied denkt. Verlieren wir Anna auf genau die Art, auf die wir im Sommer Siobhán gewonnen haben? Unsere irisch-österreichische Spielmacherin wurde ja auch von Wien zu uns ins Ruhrgebiet gespült, weil ihr Vater hier einen neuen Job bekommen hat.

 

Der Gedanke ist auch nicht völlig abwegig, denn wir alle wissen, dass Annas Eltern schon seit einer mittleren Ewigkeit nach einer neuen Wohnung suchen. Die alte Wohnung ist einfach zu klein für eine vierköpfige Familie, das war Annas Eltern schon klar, als Annas Schwesterchen gerade erst unterwegs war. Mittlerweile ist die Kleine zwei, und sie haben immer noch nichts gefunden; man liest ja auch regelmäßig, wie angespannt der Wohnungsmarkt derzeit ist. Das Problem wird natürlich auch nicht kleiner, wenn Leni älter wird und mehr Platz zum Spielen braucht. Da läge es nah, dass die Eltern den Suchradius ausdehnen, um endlich aus der zu kleinen Wohnung rauszukommen. Haben sie vielleicht etwas gefunden, das so weit weg ist, dass Anna den Verein wechseln muss, weil der Weg zu unserem Sportplatz zu weit wäre?

 

Anna beruhigt uns: Nein, sie zieht nur ein paar Häuser weiter und bleibt uns erhalten. Das gilt zumindest für den Rest der Saison, denn im Sommer muss sie zusammen mit Martha zu den Damen wechseln. Allerdings kommt der Umzug jetzt sehr kurzfristig, und er muss am nächsten Wochenende über die Bühne gehen. Das ist vor allem eine Kostenfrage, weil Annas Eltern nur unter dieser Bedingung aus dem alten Mietvertrag rauskommen, ohne noch bis zum Ende der regulären Kündigungsfrist die Miete zahlen zu müssen. Klar, dass Anna unter diesen Umständen am Samstag zu Hause unabkömmlich ist. Sie ist schon froh, dass sie wenigstens zum Training kommen konnte, denn natürlich ist die ganze Familie schon dabei, Sachen zu packen und Möbel abzubauen. Am Freitag und Samstag, wenn das ganze Zeug in die neue Wohnung verfrachtet wird, ist gar nicht dran zu denken, dass sie sich für zwei Stunden ausklinkt.

 

Für Anna ist das natürlich blöd, auch wenn sie sich auf der anderen Seite sehr auf die neue Wohnung freut. Nach dem Umzug wird sie endlich wieder wirklich ein eigenes Zimmer haben, und damit mehr Platz und Ruhe. Die Eltern haben sich zwar echt Mühe gegeben, eine Lösung zu finden, die allen gerecht wird, aber sie konnten eben auch keinen zusätzlichen Platz herbeischaffen. Also mussten sie Annas Zimmer aufteilen, sie haben in Eigenarbeit eine Wand aus Gipskartonplatten eingezogen, aber ich kann verstehen, dass Anna damit nicht unbedingt glücklich ist. Abgesehen davon, dass man sich in ihrem Zimmer kaum rühren kann, fehlt ihr vor allem die Privatsphäre. Die Trennwand ist so dünn, dass man jedes Wort auf der anderen Seite hört, und tagsüber steht die Tür meistens offen, weil ihre Mutter natürlich hören will, was Leni macht, wenn sie in ihrem Zimmer spielt. Sie muss auch durch Annas Zimmer durch, wenn sie nach Leni sehen will, denn wenn man die Wand so gezogen hätte, dass Lenis Zimmer eine eigene Tür zum Flur hätte bekommen können, dann wäre Harry Potters Kabuff unter der Treppe großzügig gewesen gegen das, was noch für Anna übrig geblieben wäre.

 

Je eher sich das ändert, desto besser ist es also für alle Beteiligten. Für uns ist es dagegen blöd, wenn Anna deswegen am Samstag fehlt. Nicht dass wir niemanden hätten, der an ihrer Stelle hinten links spielen könnte, ich schätze, Elena wird dann Paula aufstellen, aber die ist natürlich nicht so mit Kitty eingespielt, die die Position davor hat. Aber da kann man wohl nichts machen, und ich hoffe, dass es gegen die Eintracht auch so zu drei Punkten reicht.

 

Oder? „Wenn wir alle mithelfen beim Umzug, lassen deine Eltern dich dann gehen?“, erkundigte sich Kitty bei Anna. Sie weiß natürlich auch, dass Paula ihr die Bälle nicht so perfekt in den Lauf spielen und sie so genau zum richtigen Zeitpunkt hinterlaufen wird wie Anna, aber das allein ist es nicht. Sie weiß vor allem, dass Anna selbst traurig ist, weil sie das Spiel verpasst, und sucht nach einer Lösung für dieses Problem.

 

Anna zuckt mit den Schultern. „Weiß nicht“, sagt sie. „Müsste ich fragen. Aber würdet ihr das wirklich machen?“ „Klar!“, bekräftigt Kitty, und alle anderen nicken. Natürlich machen wir das, und das sollte Anna auch wissen. Schließlich ist sie lange genug dabei, und sie würde es umgekehrt auch nicht anders machen.

 

Während wir anderen mit dem Training beginnen, geht sie in die Kabine, um zu telefonieren. Das dauert ein bisschen, und wir sind schon fast durch mit dem Warmmachen, bis sie zurückkommt. Ich kann mir schon vorstellen, dass ihre Eltern ein paar Vorbehalte hatten, ein paar von uns sind ja tatsächlich noch ziemlich jung. Aber selbst die können ein- und auspacken und leichte Gegenstände tragen, und wenn sie stattdessen die Umzugshelfer verpflegen oder auf Leni aufpassen, dann ist das auch eine Hilfe, und es muss sich kein anderer mehr darum kümmern. Außerdem, so, wie ich uns kenne, machen wir selbst aus einem Umzug eine lustige Gemeinschaftsaktion.

 

***

 

Am Samstag treffen wir uns schon früh bei Anna. Wir sind vollzählig, selbst bei den Jüngsten in der Mannschaft haben die Eltern kein Veto eingelegt. Natürlich dürfen Verena, Joana und Nele nicht die schweren Möbel schleppen oder sonst schwer schuften, aber da hätten wir auch drauf geachtet, ohne dass jemand es extra sagt.

 

Außer uns sind noch zwei mit Annas Eltern befreundete Paare da, eins davon mit zwei erwachsenen Kindern. Ein Umzugsunternehmen haben Annas Eltern nicht beauftragt, denn alles so im LKW zu verstauen, dass der nicht zweimal fahren muss, würde länger dauern, als die Sachen zu tragen. Eins der befreundeten Paare hat einen Kombi mit einem offenen Anhänger, damit fahren sie einen Pendelverkehr zwischen alter und neuer Wohnung.

 

Mit so viel Hilfe fluppt der Umzug wie nur was. Wir können eine Kette bilden, von der Wohnung durchs Treppenhaus bis an den Bordstein, über die alles, was sich mit zwei Händen halten lässt, einfach weitergereicht wird. So kriegen wir die Sachen auf den Hänger, ohne viel hoch- und runterzulaufen, das spart enorm viel Kraft und Zeit. Annas Eltern sind begeistert, dass alles so glatt laufen würde, hätten sie im Traum nicht zu hoffen gewagt.

 

***

 

Bis zum Nachmittag ist der Umzug natürlich längst noch nicht abgeschlossen, aber das ist kein Grund zur Sorge. Das, worauf es ankommt, ist nämlich geschafft: Sämtliche Möbel und Kartons sind in der neuen Wohnung. Während wir beim Spiel sind, können Annas Eltern also noch mal durchgehen und gucken, ob nichts vergessen wurde, und einmal durchfegen, um morgen dem Vermieter die Wohnung besenrein zu übergeben. Dass das klappt, war die Bedingung dafür, dass sie den Mietvertrag kurzfristig auflösen können, ohne sonst vorgesehene Kündigungsfrist. Alles andere – Möbel zusammenbauen, Kisten auspacken, Waschmaschine anschließen und so weiter – muss nicht mehr unbedingt heute erledigt werden. Wenn das eine oder andere Regal noch nicht steht und die Kleider noch im Umzugskarton liegen statt im Schrank, damit können sie ein paar Tage leben, und die wichtigen Sachen werden sie heute noch aufgebaut bekommen.

 

Wir sind natürlich einigermaßen durchgeschwitzt, aber wenn jemand von der Eintracht denkt, dadurch einen Vorteil zu haben, dann ist er im Irrtum. Bis zum Sauerstoffzelt haben wir uns nicht verausgabt, ich fühle mich durchaus noch fit genug, um 80 Minuten meine Leistung auf den Platz zu bringen, und es sieht nicht so aus, als wäre es bei einer von den anderen anders. Wir gehen das Spiel hochkonzentriert an und können unsere beste Besetzung aufbieten: Martha im Tor, Josefa, Louisa, Anna und ich in der Viererkette, Svea und Elin auf der Doppelsechs, Verena und Kitty auf den Außen und Siobhán zentral hinter der einzigen Spitze, Jenny.

 

Wir spielen offensiv, und ich habe das Gefühl, dass Anna heute ganz besonders motiviert ist, viel Druck nach vorne zu machen. Der Schiedsrichter hat nach dem Anpfiff die Pfeife noch nicht aus dem Mund genommen, da schickt sie Kitty schon das erste Mal die Linie lang; allerdings muss Kitty abbrechen, weil sie in der Mitte noch keine Abnehmerin für eine Flanke hat. Immerhin kann sie eine Ecke rausholen, und es passt ins Bild, dass nach ihrer Hereingabe Anna mit einem Kopfball die Eintracht-Torhüterin zur ersten Parade zwingt.

 

Das Spiel ist insgesamt recht ausgeglichen, wobei wir uns aber die deutlich besseren Chancen rausspielen. Zur Halbzeit steht es immer noch 0:0, aber was Martha aufs Tor gekriegt hat, war nicht ernsthaft gefährlich, während die Torhüterin der Eintracht einen Schuss von Siobhán nur mit Mühe über die Latte lenken konnte und bei einer scharfen, flachen Hereingabe von Verena viel Glück hatte, dass der Ball in ihre Richtung abgefälscht wurde, ehe Jenny drankommen konnte; die war knapp vor dem Fünfer völlig blank.

 

Nach dem Seitenwechsel belohnt Anna sich und uns mit der maßgeblichen Beteiligung am Führungstreffer. An die Flanke von Kitty kann sie nicht drankommen, die Eintracht-Torfrau kommt bis zum Fünfer raus und faustet den Ball weg, aber bei der zweiten Welle steht sie perfekt. Ich glaube, den Treffer können wir uns teilen, ich halte an der Strafraumgrenze drauf und sie den Fuß rein. Ich habe keine Zeit, den Ball zu stoppen oder zurechtzulegen, nur wenn ich es volley versuche, habe ich noch eine Chance, zum Schuss zu kommen, ehe die Lücke zu ist. Tatsächlich geht der Schuss durch, ich denke aber, er wäre zu weit in die Mitte gekommen, und die Torhüterin hätte ihn gehabt. Erst dadurch, dass Anna noch die Fußspitze dran hat, geht der Ball so ins Eck, dass die Torhüterin keine Chance hat. Für mich sieht das nach Absicht aus, Anna hat erkannt, dass mein Schuss zu unplatziert war.

 

Die Führung ist verdient, daran ändert auch der weitere Spielverlauf nichts. Die Eintracht hat nicht unbedingt weniger Torchancen als wir, aber auch weiterhin keine wirklich guten. Durch die Mitte kommen sie entweder nur bis kurz vor den Sechzehner, oder sie werden nach außen abgedrängt, sodass für einen erfolgversprechenden Abschluss der Winkel zu spitz ist. Auf unserer rechten Abwehrseite kommen sie einige Male bis zur Grundlinie durch, weil Josefa gegen die schnelle Linksaußen ihre Mühe hat, aber die Flanken sind nicht scharf genug.

 

Irgendwann muss die Eintracht natürlich mehr Risiko eingehen, wenn sie wenigstens noch einen Punkt mitnehmen will. Das tut sie auch, die Trainer wechseln zwar, soweit ich es erkennen kann, nicht gezielt offensive Spielerinnen ein, aber die, die auf den Feld sind, rücken weiter auf. Gerade über ihre linke Seite versuchen sie mehr Druck zu machen, und während eine Mittelfeldspielerin in die Viererkette rückt, geht eine Innenverteidigerin, die ziemlich groß gewachsen ist, mit vorne rein. Der Plan ist klar: Sie haben gesehen, dass sie am ehesten noch über unsere rechte Seite durchkommen, das wollen sie forcieren und gleichzeitig mit der langen Innenverteidigerin dafür sorgen, dass die Flanken auch einen Abnehmer finden.

 

Das funktioniert so semi. Tatsächlich bringen sie ein paar mehr Flanken in unseren Strafraum, was auch daran liegt, dass die Linksverteidigerin es jetzt gelegentlich schon aus dem Halbfeld versucht, und die umfunktionierte Abwehrspielerin gewinnt auch ein paar Kopfbälle gegen Louisa und mich, aber ihren Abschlüssen fehlen Wucht und Präzision.

 

Ernsthaft in Gefahr gerät unser Sieg durch die Schlussoffensive der Eintracht jedenfalls nicht. Als Siobhán Jenny schickt und Jenny für sie ablegt, weil sie selbst kein freies Schussfeld hat, ist die Sache natürlich durch: Siobhán muss den Ball zwar mit dem etwas schwächeren Linken nehmen, schafft es aber, ihn halbhoch am Pfosten reinzuschlenzen. Danach merkt man auch, dass die Eintracht nicht mehr dran glaubt, und das Spiel plätschert ohne weitere Höhepunkte dem Abpfiff entgegen. Eine eingewechselte Mittelfeldspielern der Eintracht nimmt sich im letzten Angriff des Spiels noch mal ein Herz und versucht, wenigstens den Anschlusstreffer zu erzielen, aber der Ball rutscht ihr über den Spann, auch weil Milena kurz vorher noch dran ist, und geht weit daneben. Den Abstoß lässt der Schiedsrichter gar nicht mehr ausführen.

 

Ich will nicht behaupten, dass wir die Eintracht mühelos geschlagen haben, denn anstrengend war’s schon, aber ich glaube, dass der Sieg nie ernsthaft in Gefahr war, das kann man schon behaupten. Eine geschlossene Mannschaftsleistung, und das gilt nicht nur für das Spiel, sondern für den gesamten Tag.

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