Johanna und der Gefangene des kleinen Königs

Cover des Buches Johanna und der Gefangene des kleinen Königs
Cover des Buches Johanna und der Gefangene des kleinen Königs
September 2020
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978-3751994064

 

Außer dem Namen hat Jo­hannes nicht viel gemein mit Jo­hanna: Er ist der Sohn eines Hand­werkers, sie eine echte Kom­tess, Toch­ter des Grafen von Morgen­roth. Warum schleicht sie sich zu ihm in den Kerker, in den ihn seine eigene Dumm­heit ge­bracht hat? Dass Jo­hanna kein gutes Ver­hält­nis zu ihrem Vater hat, ist über die Grenzen der Graf­schaft hinaus be­kannt, aber das er­klärt noch lange nicht, warum sie sich so gar nicht wie eine Kom­tess be­nimmt. Über­haupt macht sie nie das, womit man rechnet...

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Autoren­plauderei: Mittel­alter für zwischen­durch

Jo­hanna und der Ge­fan­gene des kleinen Königs ist eine rela­tiv spontan ent­stan­dene Ge­schich­te. Ich hatte einfach Lust, ein Stück Fan­tasy oder was Mittel­alter­liches zu schrei­ben, und es wäre okay ge­wesen, wenn das Ergeb­nis am Ende in der Schub­lade ge­landet wäre. Als ich ange­fangen habe, diese Ge­schichte zu schrei­ben, hatte ich nicht mehr als ein paar vage Ver­satz­stücke, von denen ich selbst nicht wusste, ob sie sich alle zusammen­fügen lassen und wohin sie mich führen würden. Aber irgend­wie hat sich immer eins aus dem anderen er­geben, und aus den einzel­nen Brocken war eine Ge­schichte ge­worden.

Fast lautlos huschte Johanna durch die schwach beleuchteten Gänge der Burg. Ihr Ziel war die Küche, wo sie etwas zu essen aus der Vorratskammer holen wollte. Ihr Magen knurrte wie ein wildes Tier, sie hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, und jetzt war es schon Abend. Ob es sich ziemte für eine Komtess, heimlich die Vorräte der väterlichen Burg zu plündern, war ihr gleich – es ziemte sich auch nicht für einen Mann von Welt, für den ihr Vater sich immer ausgab, seine Tochter in ihr Zimmer sperren zu lassen, bloß weil sie es wagte, etwas wissen zu wollen. Er hatte sie in die Bibliothek gehen sehen, und er hielt nichts davon, wenn Mädchen Bücher lasen. Sie brauchten das nicht, behauptete er, und Johanna hatte ihm heftigst widersprochen. Was war daran falsch, wenn sie lesen wollte, was weit gereiste Männer über die fernen Länder schrieben, die sie besucht hatten?

Zu ihrem Glück hatte er sich nie die Mühe gemacht, die Burg, die schon sein Ur-Ur-Großvater erbaut hatte, in all ihrer Größe zu erforschen. Deshalb wusste er auch nicht, dass es in ihrem Zimmer einen Geheimgang gab, durch den Johanna hinauskonnte, wann immer sie wollte.

Sie musste direkt am größten Saal der Burg vorbei, dem Saal, in dem ihr Vater Feste feierte, aber auch Gericht hielt. Er verbrachte den größten Teil seiner Zeit dort, selbst wenn er nicht feierte oder Urteile fällte, eigentlich verließ er den Saal nur, um zu schlafen oder um sich zu erleichtern. Er sagte, Boten mit wichtigen Nachrichten müssten ihn finden können, und wenn die Burg angegriffen wurde, müsste er sofort die Soldaten einteilen können. Johanna glaubte nicht, dass der eine wie der andere Fall jemals eintreten würde, denn auch wenn ihr Vater reich war und über einen Landstrich herrschte, der sich über drei Tagesritte erstreckte, waren die Grafen von Morgenroth doch nur unbedeutende Figuren im großen Spiel um die Macht. Das hatte Johanna in Schriften gelesen, die ihr Vater und vor ihm schon dessen Vater in der Bibliothek in die hintersten Regale verbannt hatte.

Als sie am Durchgang vorbeihuschen wollte, der den Saal mit dem Gang zur Küche verband und nur von Dienstboten benutzt wurde, hörte sie Stimmen aus dem Saal. „Erlaucht?“ Das war die zackige Stimme des Anführers der Wache, der nie auch nur ein Wort zu viel verlor. „Den hier haben wir draußen aufgegriffen. Er wollte sich einschleichen.“ „Klauen, wie?“ Das war Johannas Vater, Walther Graf Morgenroth, und der Verdacht, den er äußerte, lag nahe.

Johanna erwartete eine verschüchterte Abwehr, doch die Stimme, die dem Burgherren antwortete, war fest und keineswegs ängstlich. „Nein, Herr.“ Sie klang auch recht jugendlich, ein erwachsener Mann war es nicht, den die Wachen aufgegriffen hatten. Johanna schlich sich an den Durchgang heran und spähte vorsichtig durch einen Spalt des Vorhangs, der den Durchgang vor den Blicken der Besucher verbarg und verhinderte, dass es gar zu sehr zog.

„Ich wollte nicht stehlen“, fuhr der Junge fort. „Ich wollte Euch sprechen, dringend, und da die Wachen mich abgewiesen haben...“ „Das werden sie nicht grundlos getan haben“, erwiderte Walther Graf Morgenroth kühl, aber Johanna spürte, dass ihr Vater verunsichert war. Er war es gewohnt, dass seine Untertanen sich – nun ja: untertänig – zeigten, und dieser Junge trat so ganz anders auf, so, als wüsste er, dass er im Recht war. Dabei konnte er nicht viel älter sein als Johanna, vielleicht ein Jahr, höchstens zwei. Aber wenn er sagte, dass er den Grafen dringend sprechen musste – welche wichtige Botschaft vertraute man einem dreizehn- oder vierzehnjährigen Jungen an?

„Was glaubst du, wie viele Leute glauben, dass sie mich unbedingt sprechen müssten?“, fuhr der Graf fort, jetzt die Stimme voller Sarkasmus. „Ich bin ein viel beschäftigter Mann, eine Grafschaft regiert sich nicht von allein. Gut, wo du schon einmal hier bist, sag, was du willst, aber fasse dich kurz!“

Der Junge nickte. „Ihr habt für morgen Abend ein großes Feuerwerk angekündigt“, sagte er. „Das ist bestimmt eine gute Idee, die die Leute freuen wird. Aber könntet ihr nicht anstelle des Feuerwerks etwas zu essen geben? Die Ernte war nicht gut dieses Jahr, es wäre eine Erleichterung für die Menschen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis den Ersten die Vorräte ausgehen.“

Johanna biss sich auf die Lippen. Der Junge hatte recht, das wusste sie, selbst mit ihren gerade erst zwölf Jahren bekam sie genug mit, um zu sehen, dass die Ernten schlecht gewesen waren. Trotzdem war es ein Fehler gewesen, sich um Hilfe an ihren Vater zu wenden, und noch dazu mit Verweis auf das Feuerwerk. Für ihn war das gleichbedeutend damit, seine Weisheit und Fürsorge infrage zu stellen, und das war etwas, das er unter gar keinen Umständen hinnehmen würde.