Silvester mit Pepe

Diese Geschichte ist eine kleine Fortsetzung zu meinem E-Book Pepe, einfach nur Pepe. Sie spielt ein paar Monate nach der Geschichte im Buch, Marius und Pepe sind in der Zwischenzeit richtig gute Freunde geworden.

 

Cover der Kurzgeschichte Silvester mit Pepe

Unvermittelt spürte Marius ein kurzes Vibrieren am Oberschenkel, und gleich darauf hörte er ein gedämpftes „Ping!“ Das war sein Handy, „Du hast Post!“, wollte es ihm damit sagen. Eine neue Nachricht war eingetroffen, entweder SMS oder WhatsApp; theoretisch hätte es auch eine E-Mail sein können, das Signal war das gleiche, aber eigentlich nutzte Marius seine E-Mail-Adresse nur, wenn er sich irgendwo registrieren musste, und würgte Newsletter und Benachrichtigungen sofort ab.

 

Er holte das Handy aus der Tasche und schaute nach. Albin war’s, der ihm geschrieben hatte, sein Klassenkamerad und bester Freund. Sie hatten sich ein paar Tage nicht gesehen, denn Albins Verwandtschaft versammelte sich zu Weihnachten immer bei den Großeltern irgendwo in Norddeutschland, und Albins Eltern hängten, wenn sie Urlaub bekamen, gern noch ein paar Tage dran, weil ihnen die Gegend so gut gefiel.

 

„Wir kommen heute Abend nach Hause“, schrieb Albin. So ganz klar war das noch nicht gewesen, Albins Eltern hatten überlegt, ob sie auch noch über Silvester bleiben sollten. „Lust, morgen schwimmen zu gehen?“ „Wo denn?“, schrieb Marius zurück. Er hatte gedacht, dass alle Schwimmbäder an Silvester geschlossen wären, aber das Spaßbad am Rand der Stadt hatte tatsächlich für ein paar Stunden auf.

 

Lust hatte Marius schon, aber so einfach zusagen konnte er trotzdem nicht. „Kann Pepe auch mit?“, schrieb er. „Pepe?“, kam es zurück, und obwohl Albin keinen Smiley dazusetzte, konnte Marius die Verwunderung seines besten Freundes herauslesen. „Seid ihr verabredet?“ „Ja“, schrieb Marius zurück. „Sie feiert Silvester mit uns.“ „Wow!“, antwortete Albin. „Machst du Fortschritte bei ihr? Und das, wo du sie doch so schnell wie möglich loswerden wolltest!“ „Lange her“, textete Marius. „Und die Zeiten ändern sich.“

 

Am Anfang hatte er tatsächlich nicht viel mit Pepe anfangen können. Kennengelernt hatten sie sich zu Beginn des Schuljahres, Pepe war als Fünftklässlerin neu am Gymnasium gewesen, und Marius war ihr von ihrer Klassenlehrerin, die zugleich seine Biolehrerin war, als Pate zugeteilt worden. Er hatte ihr helfen sollen, sich zurechtzufinden, und ihr als Ansprechpartner zur Verfügung stehen sollen, wenn sie Fragen hatte. Was hatte Marius sich erschrocken, als er gemerkt hatte, dass Pepe ein Mädchen war! Als er den Namen gehört hatte, hatte er natürlich gedacht, dass es ein Junge sein würde, ihm wäre im Traum nicht eingefallen, dass auch ein Mädchen Pepe heißen könnte. Er hatte keine Ahnung gehabt, was er mit ihr anfangen sollte, und vor allem hatte er Angst gehabt, was die anderen wohl dazu sagen würden, dass er – wenn auch nicht ganz freiwillig – mit einem Mädchen abhing.

 

Doch Frau Unkauf hatte sich etwas dabei gedacht, dass sie Marius und Pepe zum einzigen Pärchen zusammengestellt hatte, das nicht aus zwei Jungen oder zwei Mädchen bestand. Sie hatte ja vorher in beiden Klassen Zettel schreiben lassen mit Hobbys, Vorlieben und Abneigungen, und Marius und Pepe verband die Liebe zu Büchern. Nicht nur, dass beide gern und viel lasen, sie hatten auch sehr ähnliche Vorlieben, was Themen und Schreibstile anging. Ein gemeinsamer Besuch in Pepes Lieblingsbuchhandlung, wo sie stundenlang gestöbert hatten, hatte das Eis gebrochen, und seitdem waren sie richtig gute Freunde.

 

Dass Pepe Silvester bei ihm verbringen würde, war eine einigermaßen spontane Idee gewesen. Als sie sich vor zwei Tagen zuletzt getroffen hatten, hatte sie erzählt, dass bei ihr zu Hause Silvester wohl ins Wasser fallen würde, weil ihre Mutter sich eine dicke Erkältung eingefangen hatte, das hatten Marius‘ Eltern mitbekommen und sie sofort eingeladen, dann doch zu ihnen zu kommen. Marius war da gar nicht erst gefragt worden, aber er freute sich. Pepe würde sogar über Nacht bleiben, damit Marius‘ Eltern sie nicht noch spät am Abend nach Hause bringen mussten.

 

„Wow!“, schrieb Albin noch mal. „Krass! Sie pennt echt bei dir?“ „Mach mal halblang!“, versuchte Marius ihn zu bremsen. „Alles rein praktische Gründe, und sie pennt auf der Schlafcouch im Wohnzimmer.“ Albin sparte sich die Worte und schickte zur Antwort nur einen „unschuldig“ pfeifenden Smiley. „Okay, okay“, räumte Marius ein. „Ich freu mich drauf, wird bestimmt lustig. Also, ich frag sie, ob sie mitkommen will zum Schwimmen. Wenn sie Lust hat, dann sind wir dabei.“

 

Ein paar Minuten später konnte er Vollzug melden, Pepe hatte sofort zurückgeschrieben, dass sie natürlich mitkommen würde. So, wie sie es schrieb, gefiel es ihr, dass sie damit einen Grund hatte, sich einige Stunden früher auf den Weg zu ihm zu machen als ursprünglich geplant, und er fand es auch schön, noch was mit ihr zusammen zu unternehmen.

 

***

 

Am letzten Tag des Jahres trafen Marius und Pepe sich vormittags im Bus, der sie zum Schwimmbad brachte. Sie wohnten nicht so sehr weit auseinander, Pepe stieg eine Haltestelle nach Marius ein, entdeckte ihn auf den ersten Blick, begrüßte ihn fröhlich und setzte sich neben ihn.

 

Albin dagegen kam aus einer anderen Richtung, so weit wohnte er zwar auch nicht von Marius weg, aber für ihn war eine andere Linie günstiger. Der Fahrplan wollte es, dass er das Schwimmbad ein paar Minuten früher erreichte, er wartete wie verabredet vor dem Eingang auf Marius und Pepe. Seine Begrüßung war etwas zurückhaltend, und Marius war klar, dass das an Pepe lag. Es war wohl nicht so, dass Albin Pepe nicht leiden konnte; wahrscheinlich fand er sie eigentlich sogar ganz in Ordnung. Aber Pepe war eben ein Mädchen, und Albin fand es komisch, als Junge mit einem Mädchen befreundet zu sein. Am Anfang hatte Marius ja auch überlegt, wie er sich der Aufgabe, Pepe den Start an der neuen Schule zu erleichtern, möglichst schnell entledigen konnte, ohne Ärger mit Frau Unkauf zu riskieren, und Albin verstand immer noch nicht, wie Marius seine Meinung so komplett geändert haben konnte. Vielleicht kannte er Pepe einfach auch zu wenig, um zu begreifen, was für ein guter Kumpel sie war.

 

Im Schwimmbad fiel das nicht ins Gewicht, die drei Kinder hatten einfach gemeinsam Spaß. Natürlich nutzten sie die Zeit voll aus und blieben, bis das Bad am frühen Nachmittag seine Pforten schloss.

 

„Gehst du direkt mit zu Marius?“, wollte Albin beim Abschied von Pepe wissen. „Klar“, antwortete die. „Warum sollte ich vorher noch mal nach Hause gehen? Viel Zeug brauch ich ja nicht, und das hab ich dabei.“ Während sie zur Bekräftigung auf ihren Rucksack klopfte, pfiff Albin anzüglich, aber Marius fand es nicht der Mühe wert, darauf einzugehen. Irgendwann würde Albin schon lernen, dass es da nichts zu pfeifen gab.

 

***

 

Bei Marius zu Hause verbrachten Marius und Pepe einen entspannten letzten Abend des Jahres. Weil sie vom Schwimmen einigermaßen kaputt waren, vertrieben sie sich die Zeit bis zum Abendessen mit Lesen. Dabei machten sie sich einen Spaß daraus, sich verschiedene Passagen aus ihren Büchern vorzulesen und dabei die beschriebene Stimmung durch die Betonung möglichst ins Gegenteil zu verkehren.

 

Zum Abendessen gab es Raclette. Marius mochte das, er fand es witzig, selbst verschiedene Zutaten zu einem Minigericht zusammenzustellen, das in einem kleinen Pfännchen gebraten wurde. Für seine Eltern hatte das den Vorteil, dass sie nicht wissen mussten, was Pepe mochte, und was sie gar nicht leiden konnte, denn bei so viel Auswahl war wirklich für jeden etwas dabei. Pepe futterte sich auch gründlich durch, und natürlich zog sich das Essen unheimlich in die Länge.

 

Trotzdem war danach noch Zeit bis zum Jahreswechsel, und die verbrachten Marius, seine Eltern und Pepe mit Karten- und Brett- und Ratespielen. Bei einem, das auf der Idee von Stadt, Land, Fluss aufbaute, waren die Eltern im Vorteil, weil sie einfach mehr Begriffe kannten; dafür hatten sie bei Uno kein Kartenglück. Das nahmen sie aber mit Humor, und alles in allem hatten alle viel Spaß.

 

Irgendwann war es dann aber doch viertel vor zwölf, und die Spiele wurden weggeräumt. Vor dem Feuerwerk noch eine neue Runde anzufangen, hätte sich nicht mehr gelohnt, und es war klar, dass Marius und Pepe danach direkt ins Bett gehen würden. Sie nutzten die Zeit, um Freunden und, was Pepe betraf, auch den Eltern Nachrichten zu schicken und ihnen einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen. Dass die Grüße etwas verfrüht kamen, würde schon kein Unglück bringen, und so konnten sie auch nicht hängenbleiben, wenn um Mitternacht jedermann und sein Nachbar am Texten war.

 

***

 

Weil Marius erst zwölf war und Pepe sogar erst elf, durften sie selbst kaum etwas anzünden, nur ein paar kleine Böller, mit denen sie nicht viel Unheil anrichten konnten, wenn sie sie zu spät wegwarfen oder schlecht zielten. Um den Rest kümmerte sich Marius‘ Vater; er hatte eine Flasche mit nach draußen gebracht als Startrampe für ein Dutzend Raketen.

 

„Ich find’s klasse, dass wir Silvester zusammen feiern“, sagte Pepe, während sie und Marius auf dem Bürgersteig standen und den Weg der Raketen am Himmel verfolgten. „Ich meine, wenn wir zu Hause feiern, dann ist’s auch immer lustig, aber mit dir macht es noch viel mehr Spaß.“ „Mir auch“, versicherte Marius. Spontan legte er Pepe einen Arm um die Schultern. Sie sah zu ihm auf – sie war ein Stück kleiner als er – und lächelte. Es war schön, mit ihr hier zu stehen und das Feuerwerk zu beobachten. So viele Sorgen er sich am Anfang gemacht hatte, ob seine Freunde ihn verspotten würden, wenn sie ihn zusammen mit Pepe sahen, so egal war ihm inzwischen, was sie dachten. Pepe war total in Ordnung, er mochte sie, Punkt.

Cover der Kurzgeschichte Silvester mit Pepe