Im Regen gestanden - oder auch nicht

Cover des Buches Im Regen gestanden – oder auch nicht
Cover des Buches Im Regen gestanden – oder auch nicht
November 2015
25
978-3739213613

 

Ein bisschen ist Max daran schuld, dass Lilly nach der Theaterprobe den Bus verpasst, aber am meisten doch wohl sie selbst, auch wenn sie es nicht zugeben will. Wenn es wenigstens nicht so regnen und der Wind nicht so pfeifen würde! Max hat die Idee, wo sie sich unterstellen kann, und solange er neben ihr sitzt, fühlt sich die kahle Bahnhofshalle für Lilly wie ein gemütliches Wohnzimmer an.

Ebook €0,49

Autorenplauderei - Woher die Ideen kommen

Es wird viel davon geredet, dass man als Schriftsteller nur aufmerksam durchs Leben gehen müsse, um genug Stoff für seine Geschichten zu finden. Die, die das sagen, haben bestimmt nicht Unrecht, aber manchmal stellt sich eine Idee ein, wenn man überhaupt nicht darauf gefasst ist. Eine winzige Szene, zufällig und flüchtig beobachtet, zusammenhanglos, kann dann der Kern einer neuen Geschichte sein.

Genauso war es auch bei Im Regen gestanden - oder auch nicht: Eine Gruppe von Kindern auf dem Bürgersteig vor einem Imbiss, ein Mädchen läuft ein paar Schritte und bleibt dann stehen. Warum? Keine Ahnung. Ich war nur für ein paar Sekunden als ferner Beobachter dabei, schnappte im Vorbeifahren einen winzigen Ausschnitt auf, ohne Aussicht, jemals zu erfahren, was vorher war und was danach kam. Aber die Geschichte von Lilly und Max war geboren.

Sie standen zu sechst an der Pommesbude schräg gegenüber dem Schultor, Sechst- und Siebtklässler aus der Theater-AG des Kästner-Gymnasiums. Es war später Nachmittag, sie hatten Probe gehabt, eine der ersten für das Stück, das sie im Frühjahr beim Schulfest erstmals aufführen wollten. Unter der Leitung von Frau Speck, die im völligen Widerspruch zu ihrem Namen gertenschlank war und die AG zu Beginn des Schuljahres neu ins Leben gerufen hatte, hatten sie selbst Kästners bekanntes Buch Pünktchen und Anton zu einem Theaterstück verarbeitet.

 

Fynn aus der 7c sollte den Anton spielen. Er war ein nachdenklicher Junge mit Brille und braunem Wuschelhaar, der die Kinderbücher von Kästner fast auswendig herunterbeten konnte und vielleicht den größten Anteil daran hatte, dass die Umsetzung der Vorlage in das Theaterstück in den Augen aller Beteiligten rundum gelungen war. Er gab seinem Anton genau die Art, die Einstellung, die Erich Kästner ihm 1931 mitgegeben hatte, und es hatte von Anfang an keinen Zweifel daran gegeben, dass er die Rolle spielen würde.

 

Ihm stand als Pünktchen Lilly aus der 6a gegenüber, die eigentlich nur zur Theater-AG gekommen war, weil ihre Freundin Sophie sie mitgeschleppt hatte. Zwar hatte sie in der Grundschule schon Theater gespielt, aber nur, weil es von der Klassenlehrerin vorgegeben worden war, und die strenge Regie ohne jeden Freiraum, die Rolle selbst ein bisschen zu gestalten, hatte nicht dazu beigetragen, ihre Begeisterung fürs Theater zu wecken. Inzwischen war Lilly jedoch mit Freude dabei, und unter allen Mädchen, die für die weibliche Hauptrolle vorgesprochen hatten, war sie mit Abstand die beste gewesen. Sophie, die natürlich auch als Pünktchen vorgesprochen hatte, durfte nun die dicke Berta spielen, und wie alle außer den beiden Hauptdarstellern würde sie außerdem noch kleinere Nebenrollen übernehmen, weil deutlich weniger Darsteller zur Verfügung standen, als es Rollen gab.

 

Auch sie stand mit den anderen an der Pommesbude und teilte sich eine Portion Pommes mit Lilly. Für ihre Rolle hätte es nicht schaden können, stattdessen einen doppelte Portion mit dick Mayo obendrauf allein zu essen, aber da blieb sie denn doch lieber schlank und steckte sich ein Kissen unter die Bluse, um auf der Bühne das der Beschreibung entsprechende Format zu erreichen.