Durchgestochen

Cover des Buches Durchgestochen
Cover des Buches Durchgestochen
Juni 2022
52
978-3756227747

 

Die neueste Staffel von Rabeas Lieblings­serie ist mal wieder viel zu schnell zu Ende. Zum Glück ist sie ganz nah dran an der Produk­tion, schließ­lich ist ihr Vater fürs Casting ver­antwort­lich. Aber wie kann es sein, dass eine noch ganz neue Website für Filmfans den Namen der neuen Haupt­darstel­lerin kennt, noch bevor Rabeas Vater Gelegen­heit hat, Rabea davon zu er­zählen? Es ist nicht das erste Mal, dass solche Infor­mationen durch­gestochen werden, dieses Mal bringt das Fass jedoch zum Über­laufen. Die Leitung des Fernseh­senders beginnt nach­zu­forschen, doch was dabei heraus­kommt, kann einfach nicht stimmen. Zusammen mit ihrer Freundin und Haupt­darstel­lerin Malenka beginnt Rabea, ein paar Steine umzu­drehen...

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Autorenplauderei: Auf Abwegen

Eigent­lich hatte ich für die Auf­lö­sung dieser Ge­schichte zu­nächst eine ganz andere Idee: Rabea und Malenka sollten eine Falle mit einem sorg­fältig kopierten Insta­gram-Account auf­stellen. Letzten Endes musste ich diese Idee jedoch ver­werfen, weil es kaum glaub­haft gewesen wäre, dass der, um den es ging, darauf rein­gefallen wäre. Schade, aber wenn ich realis­tische Ge­schichten schreiben will, dann muss ich mich eben auch an das halten, was logisch nach­voll­ziehbar ist.

Es war Rettung in letzter Sekunde. Viel länger hätte Isabelle, die Tochter des spanischen Empfangschefs, nicht mehr durchgehalten in der Kühlkammer der Hotelküche. Sie war schon ganz blass im Gesicht, und ihre Bewegungen steif. Raureif überzog die dunklen Haare, und die Lippen hatten einen ungesunden bläulichen Ton angenommen.

 

Verantwortlich für Isabelles lebensgefährliche Lage war ein international gesuchter Hoteldieb. Isabelle hatte ihn erkannt, noch ehe er seinen Fischzug im Hotel Wellerhoff hatte beginnen können, und versucht, ihn in die Falle zu locken. Doch der Mann war clever, und Isabelle hatte zu spät gemerkt, dass er nicht allein war. Sein Komplize hatte sie überwältigt und eingesperrt, um in Ruhe abhauen zu können, vielleicht ja sogar doch noch mit ein paar erlesenen Stücken aus dem Safe.

 

Doch auch das diebische Duo hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Isabelles Freunde hatten sie gestellt, und jetzt warteten sie im Weinkeller auf die Polizei. Vielleicht nutzten sie die Gelegenheit, um sich noch einmal volllaufen zu lassen, es würde wohl für lange Zeit die letzte sein.

 

Die schwere Stahltür schwang langsam auf, und vier Kinder drängten sich durch den Spalt, zu ungeduldig, um zu warten, bis sie vollends offen war. An der Spitze lief Felipe, dessen Eltern im Hotelrestaurant arbeiteten, die Mutter als Köchin, der Vater als Kellner. Dahinter folgten Louis, dessen Mutter die Zimmer reinigte, Kasper, der Sohn des Buchhalters, und Macija, deren Eltern als Hausmeister und Gärtner tätig waren. Alle wohnten im Hotel und kannten natürlich jeden Winkel im Haus und im Park dahinter.

 

Isabelle atmete auf, als sie ihre Freunde sah. Gleichzeitig traten ihr Tränen in die Augen nach allem, was sie durchgemacht hatte. Allein hätte sie keine Chance gehabt, sich zu befreien, die Tür war massiv, Fenster gab es nicht. Die dicken Wände hatten auch verhindert, dass ihr Handy eine Verbindung bekam, sodass sie nicht um Hilfe hatte telefonieren können. Vor dem Morgen wäre sie nicht entdeckt worden, und bis dahin wäre sie längst erfroren gewesen. Hatten die Verbrecher das geplant? Um sie als Zeugin zum Schweigen zu bringen? Erfahren würde sie das wohl nie, denn die beiden Diebe hätten blöd sein müssen, etwas zuzugeben, was ihnen niemand nachweisen konnte. Wenn sie behaupteten, sie hätten Isabelle nur kurz aus dem Weg hatten haben wollen und gedacht, sie würde schnell gefunden werden, dann würden sie vielleicht noch billig wegkommen. Ging es dagegen um einen Versuch, ein Kind zu ermorden, würde kein Richter ein Pardon kennen.

 

Felipe zögerte kurz, dann legte er beide Arme um Isabelle. Vordergründig wollte er sie wärmen, klar, aber dahinter steckte auch noch etwas anderes. Das hatte sich lange angedeutet, und es war auch klar, dass Isabelle ihn ebenso mochte. Kasper nickte seinem besten Freund aufmunternd zu, auch wenn ihm klar war, dass Isabelle jetzt vor allem aus der Kühlkammer rausmusste. So viel Zeit musste sein, fand auch Isabelle, und ehe Felipe sich überlegen konnte, was Kasper meinte, berührten ihre Lippen leicht seine Wangen.

 

***

 

Seufzend schloss Rabea den Browser-Tab mit dem Stream. Tiefgefroren war schon wieder die letzte Folge der fünften und neuesten Staffel ihrer Lieblingsserie 2. Stock links gewesen. Der Name leitete sich vom Wohnsitz der Protagonisten in einem fiktiven Hotel in Düsseldorf ab. Die fünf Jungen und Mädchen waren allesamt Kinder der Hotelangestellten und erlebten ihre Abenteuer rund um das altehrwürdige Haus. Sie deckten kriminelle Machenschaften auf, halfen aber auch auf andere Weise Menschen aus der Not. So hatten sie in der dritten Staffel eine Hochzeit gerettet, die ins Wasser zu fallen drohte, und in der vierten eine alte Frau, die im Wellerhoff abgestiegen war, wieder mit einer Schulfreundin zusammengeführt, die sie aus den Augen verloren hatte.

 

Jetzt nach dem Staffelfinale würde Rabea sich wieder mindestens ein Dreivierteljahr gedulden müssen, ehe es frische Folgen geben würde. Immerhin war sie besser dran als 99,9 % der Fans, denn im Gegensatz zu denen wusste sie schon mit Sicherheit, dass die Vorbereitungen für eine sechste Staffel auf Hochtouren liefen. Sie würde sogar bald schon die Drehbücher zu lesen bekommen, denn ihr Vater war seit der ersten Staffel als Casting Director verantwortlich dafür, die Darsteller auszuwählen. Sie kannte alle Darsteller, und mit Malenka, die die Isabelle spielte, war sie sogar gut befreundet. Als Komparsin spielte sie auch selbst regelmäßig mit, das machte ihr riesigen Spaß, und gut fürs Taschengeldkonto war es nebenbei auch. Der Aufwand hielt sich in Grenzen, denn sie wohnte in Düsseldorf und konnte jeden Drehort fix mit dem Rad oder der Straßenbahn erreichen. Es war sogar schon vorgekommen, dass sie nach der Schule angerufen worden war, ob sie schnell ans Set kommen konnte für eine kleine Szene mit zwei oder drei Sätzen. Die Regisseure kannten sie und wussten, dass sie den Text flugs gelernt hatte, weil sie die Drehbücher sowieso kannte, und auch sonst keine großen Erklärungen brauchte.