Starke Diebe, schwache Beute

Cover des Buches Starke Diebe, schwache Beute
Cover des Buches Starke Diebe, schwache Beute
Mai 2022
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978-3756213979

 

Ein bisschen altes Spiel­zeug und aus­rangier­ten Hausrat auf dem Floh­markt ver­kaufen: an sich keine große Sache, aber doch ein kleines Aben­teuer für Alba und Alexan­der. Dass ihnen die ersten Sachen schon abge­nommen werden, noch ehe sie den Markt­platz er­reichen, war aber nicht geplant, und sie hatten sich eigent­lich schon vor­gestellt, ein biss­chen Geld dafür zu be­kommen. Die größte Frage aber bleibt: Warum riskiert jemand so viel für so wenig Beute?

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Autorenplauderei: Die Kunst des Weglassens

Jeder Autor kennt sie: schmerz­hafte Tren­nungen. Kaum eine Ge­schichte entsteht, ohne dass die eine oder andere Idee über Bord geht, weil sie am Ende doch nicht richtig passt.

Bei Starke Diebe, schwache Beute ist dieser Not­wendig­keit des Aus­sortie­rens der persön­liche Hinter­grund der Prota­gonisten zum Opfer gefallen. Darüber, dass Alba Halb­spanierin und mit zwei Mutter­sprachen aufge­wachsen ist, hatte ich eigent­lich viel mehr erzählen wollen, aber letztlich hätte alles, was über die nun enthal­tenen Andeu­tungen hinaus­geht, den Fort­gang der Ge­schichte gestört.

Die Plakate hingen im ganzen Viertel und waren kaum zu übersehen: Samstag großer Flohmarkt auf dem Parkplatz am Stadtwald. Der Veranstalter versprach eine bunte Mischung aus Privatverkäufern und Trödelprofis und lockte mit Parkmöglichkeiten und kulinarischen Angeboten. Unentschlossenen Verkäufern sollten niedrige Standgebühren Beine machen.

 

Alba hatte einen Standplatz gebucht, um ein paar alte Sachen zu Geld zu machen, Spielsachen und Bücher, von denen sie ganz sicher war, dass sie sie nicht mehr haben wollte. Auch Kleidungsstücke, aus denen sie in den letzten Monaten herausgewachsen war, würde sie verkaufen, aber das war nur eine Handvoll. Die meiste Kleidung, die sie nicht mehr tragen konnte, kam bei nächster Gelegenheit in die Altkleidersammlung.

 

Um eine Vorstellung zu bekommen, welche Preise sie verlangen konnte, hatte sie bei Ebay gestöbert. Reichtümer würde sie nicht ernten, das war ihr vorher klar gewesen, und für ihre paar Sachen allein hätte sich der Aufwand gar nicht gelohnt. Da hätte sie kaum die Standgebühr wieder reinbekommen, selbst wenn sie alles zu den Preisen hätte verkaufen können, die sie sich vorstellte. Dafür hätte sie sich bestimmt nicht den halben Samstag um die Ohren geschlagen, so eilig hatte sie es nicht, die Sachen loszuwerden. Weder brauchte sie Platz und musste das Zeug deshalb schnell loswerden, noch sparte sie auf etwas.

 

Aber mithilfe der ganzen Familie kam genug zusammen, dass die Aktion sich lohnte. Albas Stiefbruder Alexander hatte auch ein paar Sachen, die er nicht mehr brauchte und nur noch nicht bei Ebay eingestellt hatte, weil er keine Lust aufs Verpacken und Verschicken hatte. In Summe war das schon mal genug, dass die anderen Händler sie nicht auslachen würden, und lustiger würde es zu zweit sowieso sein.

 

Alba und Alexander waren beide elf, gingen auch in die gleiche Klasse und verstanden sich so wie die meisten Geschwisterpaare. Manchmal zankten sie, aber wenn es darauf ankam, hielten sie zusammen. Albas Mutter hatte Alexanders Vater kennengelernt, als Alba gerade in den Kindergarten gekommen war, vor sechs Jahren waren sie zusammengezogen und hatten bald darauf geheiratet. Albas Eltern hatten sich getrennt, als Alba noch ganz klein gewesen war, Alexanders Mutter war so früh gestorben, dass er sich gar nicht mehr an sie entsinnen konnte.

 

Da damals sowohl Alba, ihre Mutter und Albas Bruder Iago einen kompletten Hausstand mitgebracht hatten, als auch Alexander und sein Vater, waren nach dem Einzug ins gemeinsame Heim plötzlich viele Sachen doppelt vorhanden gewesen. Vieles, was auf diese Weise überschüssig geworden war, lag immer noch im Keller, weil sich niemand die Mühe gemacht hatte, gezielt zu entrümpeln. Nur vereinzelt waren Sachen verschenkt worden, wenn im Bekanntenkreis jemand etwas hatte brauchen können. Jetzt hatten Albas Mutter und Stiefvater die Gelegenheit genutzt und gründlich aussortiert. Dabei war viel zusammengekommen, und dafür, dass sie sich um den Verkauf kümmerten, würden Alba und Alexander die Einnahmen unter sich aufteilen dürfen.

 

Wie sie ihr Angebot zum Markt brachten, mussten die beiden allerdings selbst sehen, denn die Eltern hatten keine Zeit, sie mit dem Auto zu bringen. Alba und Alexander lösten das pragmatisch, schnappten sich nämlich die Schubkarren aus dem Garten und luden sie voll. Der Weg war nicht allzu weit, zu Fuß eine gute Viertelstunde, mit den vollen Schubkarren vielleicht ein paar Minuten mehr.

 

***

 

Als Alba und Alexander nach dem Frühstück ihre Schubkarren beluden, war es noch ziemlich frisch, aber es versprach ein sonniger Tag zu werden. Sicherheitshalber nahm Alba zwei Flaschen Wasser mit, und Alexander deckte sich ebenfalls großzügig ein. Sie würden ja auch eine Weile weg sein, der Flohmarkt sollte um elf beginnen und bis nachmittags um fünf dauern. Alba und Alexander wollten auf jeden Fall bis zum Schluss bleiben, falls sie nicht vorher schon alles verkauft hatten. Aber daran glaubten sie nicht, sie schätzten, dass sie einen Teil der Sachen wieder mit nach Hause bringen würden. Was sie mit denen machten, würden sie später sehen.

 

Um kurz nach zehn schoben sie los. Sie hatten einen reservierten Platz, mussten also nicht überaus früh da sein, um sich einen guten Platz zu sichern, an dem möglichst viele Leute vorbeikommen würden. Aber sie wollten genug Zeit haben, ihren „Stand“ aufzubauen, Alexander hatte in seiner Schubkarre ein paar beim Renovieren übrig gebliebene Paneelbretter, mit denen sie eine Art Theke bauen wollten.

 

Der Weg führte einmal quer durch das Viertel, in dem Alba und Alexander wohnten, zum Stadtrand. Hinter einer Neubausiedlung begann der Wald, ein ausgedehntes Naherholungsgebiet. Es gab ein Restaurant, ein Café, eine Minigolfanlage und zwei große Parkplätze, von denen einer an diesem Tag für den Flohmarkt reserviert war.

 

Ein wenig merkwürdig fühlte Alba sich schon, als sie mit der Schubkarre durch die kleine Einkaufsmeile des Viertels schob. Sie hatte das Gefühl, dass alle Passanten sie anstarrten, und obwohl sie nichts Unrechtes tat, glaubte sie, das gesammelte Misstrauen mit den Händen greifen zu können. Musste es für einen Unbeteiligten nicht so aussehen, als käme sie gerade von einem erfolgreichen Einbruch? Sie sagte sich selbst, dass das Unsinn war, Einbrecher transportierten ihre Beute unauffällig in einem Rucksack oder kamen gleich mit dem Auto, aber das Gefühl blieb. Auch Alexander atmete auf, als sie das belebte Straßenstück hinter sich ließen, und das nicht nur, weil sie sich jetzt nicht mehr zwischen vielen Passanten durchschlängeln mussten.

 

Den größten Teil der Strecke hatten sie geschafft, Alba schätzte, dass sie in gut fünf Minuten am Ziel sein würden. „Abkürzung?“, erkundigte sie sich kurz vor der nächsten Ecke. „Abkürzung“, bestätigte Alexander.